x Merkel: Globalisierung – Herausforderungen für die G8
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Globalisierung:
Herausforderungen für die G8

Angela Merkel, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland
[English]

From "The 2011 G8 Deauville Summit: New World, New Ideas." edited by John Kirton and Madeline Koch
Published by Newsdesk Media Group and the G8 Research Group, 2011
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In unserer immer kleiner werdenden Welt scheinen politische Herausforderungen immer größer zu werden. Ob Umwelt- und Naturkatastrophen, Kriege oder schlechte Regierungsführung, Börseneinbrüche oder Bankencrash – eng vernetzt, wie die Weltregionen heute sind, können lokale Ereignisse in Windeseile globale Bedeutung erlangen. So stehen mehr und mehr Länder vor gleichen Aufgaben, denen sie jeweils allein nicht oder kaum gewachsen sind. Das altbekannte Bild von dem einen Boot, in dem wir sitzen, ist im Zeitalter von Globalisierung und Internet aktueller denn je. Um voranzukommen und gefährliche Stromschnellen zu meistern, ist Teamarbeit gefragt. Das hat uns besonders eindrücklich die internationale Finanzmarktkrise vor Augen geführt.

Um den Turbulenzen auf den Finanzmärkten entgegenzuwirken und für die Zukunft vorzusorgen, hat sich die G20 beim Gipfel in Pittsburgh im Jahr 2009 zum führenden Format für die internationale Kooperation in Wirtschaftsfragen erklärt. Damit rückten die großen Schwellenländer entsprechend ihrer gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung mit an den Tisch. Diese Entwicklung war im sogenannten Heiligendamm-Prozess angelegt, der von der G8 unter deutscher Präsidentschaft bereits 2007 angestoßen wurde.

Das neue Format der G20 bindet ein breites Spektrum von Staaten und staatlichen Interessen ein. Daher kommt ihm hohe Legitimität zu. Aber die Mitglieder sind hinsichtlich ihrer Leitbilder und Gesellschaftssysteme sehr heterogen. Dagegen dominieren in der G8 die grundlegenden Prinzipien einer freiheitlicher Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und Demokratie. Das erhöht die Chance, tragfähige Lösungen im Konsens zu erzielen. Deshalb bleibt die Gruppe der G8 mit ihrer großen Wirtschaftskraft nach wie vor ein wichtiges Gremium der internationalen politischen Kooperation.

Die in dieser Gruppe sichtbar werdende Verbindung von großer Wirtschaftskraft und gemeinsamen politischen Werten schafft eine einzigartige Basis, um auch in außen- und sicherheitspolitischen Fragen gemeinsam verlässlich Position zu beziehen.

Auch beim G8-Gipfel in Deauville stehen wichtige aktuelle internationale Entwicklungen auf der Tagesordnung. Es ist bereits vorgezeichnet, dass die Umbrüche in der arabischen Welt einschließlich der sich daraus ergebenden Sicherheitsfragen eine zentrale Rolle spielen werden. Die Ereignisse belegen eindrücklich, dass erst unter Beachtung von Menschenrechten eine nachhaltige Entwicklung möglich ist. Die G8 leitet die Idee, friedlichen Wandel und politische Stabilisierung durch Reformen und neue wirtschaftliche Freiheiten in den betreffenden Ländern zu unterstützen. Deshalb müssen wir die Chance nutzen, politische Teilhabe und Wohlstand in unserer arabischen Nachbarschaft zu fördern.

Damit verbunden ist nicht zuletzt die Frage der Migration. Am Beispiel der aktuellen Ereignisse in Nordafrika zeigt sich, wie sehr im Zuge gesellschaftlicher Umwälzungen Wanderungsbewegungen zunehmen. Die westlichen Industrieländer sehen sich mit den verzweifelten Hoffnungen der Menschen konfrontiert, die in ihrer Not ihre Heimat hinter sich lassen. Entsprechend gilt es, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.

Die Agenda der diesjährigen französischen G8-Präsidentschaft ist keineswegs allein auf aktuelle, besonders drängende internationale Probleme begrenzt. Frankreich will die G8 wieder stärker zum Ursprung als informelles Forum mit viel Raum für freie Diskussionen zurückführen. So kann die G8 auch weiterhin als wichtiger Impulsgeber in unterschiedlichsten Debatten und Zukunftsfragen fungieren. Dazu gehört, dass wir uns in der G8 zu weltwirtschaftlichen Themen austauschen, nicht zuletzt über die wirtschaftspolitische Grundsatzfrage der Schaffung freier Märkte.

Deutschland setzt sich seit langem dafür ein, dass die G8 das Ziel einer offenen Weltwirtschaft im Blick behält. Wichtig ist und bleibt dazu die multilaterale Handelsliberalisierung im Rahmen der WTO. Es freut mich, dass die G20 in Seoul das klare Ziel gesetzt hat, in die Schlussphase der Doha-Verhandlungen in diesem Jahr einzusteigen. Deutschland wird beim G8-Treffen in Deauville mit Nachdruck dafür werben, dass diesen Worten Taten folgen.

Deutschland hat die Folgen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise gut gemeistert. Unsere Wirtschaft ist im Jahr 2010 so stark gewachsen wie nie seit der Wiedervereinigung unseres Landes vor 20 Jahren. Die positive Entwicklung wird sich aller Voraussicht nach auch 2011 fortsetzen. Die neu entfachte wirtschaftliche Dynamik wird sowohl vom Außenhandel als auch von der Binnennachfrage getragen. Die Bundesregierung hat ihren Beitrag zur Krisenbewältigung geleistet – mit rechtzeitigen und angemessenen Stabilisierungsmaßnahmen für den Finanzsektor, mit umfassenden Konjunkturpaketen für die Realwirtschaft und nicht zuletzt mit der Flexibilisierung der Regeln zur Kurzarbeit.

Jetzt stehen wir vor neuen Aufgaben. Nach kurzfristiger Krisenbewältigung gilt es nun, national wie international die Voraussetzungen für langfristiges Wachstum zu verbessern. Dazu sind die Konsolidierung der Staatsfinanzen und Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung unabdingbar. Hinzu kommt der Schutz geistigen Eigentums. Dies liegt nicht allein im Interesse der Industrieländer, sondern auch der Schwellenländer, die sich immer mehr vom Wissensimporteur zum Wissensproduzenten wandeln. Nicht zuletzt müssen sich auch für Entwicklungsländer Anstrengungen lohnen, Innovationen hervorzubringen, um so selbst tragendes Wachstum voranzubringen. Insofern gilt es, für die Unterbindung von Produkt- und Markenpiraterie weltweit an einem Strang zu ziehen. Deshalb kann ich es nur begrüßen, dass der französische Staatspräsident Sarkozy dieses Thema ebenfalls auf die G8-Agenda gesetzt hat.

Wenn wir in der G8 über Wachstum sprechen, dann geht es nicht um Wachstum um jeden Preis. Das Prinzip der Nachhaltigkeit gebietet vielmehr, Grenzen zu beachten, die uns insbesondere der Schutz unseres Klimas und die Endlichkeit von Ressourcen setzen. Der Trend geht zu einer kohlendioxidarmen und ressourceneffizienten Wirtschaft. Dem liegen die Überzeugung und Einsicht zugrunde, dass Nachhaltigkeit und Wohlstand zwei Seiten derselben Medaille sind. Denn Nachhaltigkeit nimmt die Grundlagen für eine auf Dauer angelegte Wirtschaftsweise in den Blick, die Zukunft nicht verbraucht, sondern erschließt. Kurzfristiges Wachstum auf Kosten der Entwicklungschancen künftiger Generationen darf keine Option sein. Das gilt für Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer gleichermaßen. Uns allen bieten sich immense Potentiale im weiten Bereich der Effizienz- und Umwelttechnologien. Um sie verstärkt zu nutzen, ist die Politik gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen. So sehen die Beschlüsse der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Cancún vor, dass Industrieländer kohlendioxidarme Entwicklungsstrategien auf den Weg bringen. Wenn die G8 ein deutliches Signal für grünes Wachstum geben, kann das insbesondere auch mit Blick auf die in Rio de Janeiro 2012 stattfindende UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung entscheidend sein.

Wichtige Akzente hat die G8 stets bei der Entwicklungspolitik gesetzt. Zu nennen sind der Erlass der bilateralen Schulden im Rahmen der HIPC-Initiative von Köln 1999, der multilaterale Schuldenerlass, der Kampf gegen Armut sowie die historisch einmaligen, beim G8-Gipfel von Heiligendamm 2007 erteilten Zusagen zur Gesundheitsförderung in armen Ländern. Die von der G8 wahrgenommene internationale Verantwortung zeigt sich vor allem in Afrika. Das Engagement geht weit über die Leistung von Entwicklungshilfe im engeren Sinne hinaus. Vielmehr besteht ein Dialog auf Augenhöhe, der die ganze Bandbreite der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und sicherheitsrelevanten Entwicklung zum Gegenstand hat. Dabei können die G8 wie alle anderen Geber auch immer nur einen Beitrag zu nationalen Eigenanstrengungen leisten. Doch ohne unseren Beitrag sähe die Bilanz deutlich schlechter aus: sowohl für wirtschaftliche Perspektiven als auch bei der Bekämpfung von Krankheiten wie Aids, Tuberkulose oder Malaria.

Wissensaustausch, Fortschritt und Entwicklung sind heute ohne Internet kaum mehr denkbar. Es sorgt für Transparenz und hilft damit auch, Demokratie zu verbreiten. Moderne Kommunikationsmöglichkeiten haben in unserem täglichen Leben längst einen festen Platz. Doch der hohe Grad an Vernetzung bietet auch eine Angriffsfläche für Gefahren verschiedenster Art. Es liegt auf der Hand, dass für angemessenen Schutz vor Internetangriffen überwiegend nur international gesorgt werden kann. Folgerichtig hat der französische Präsident auch dieses wichtige Thema auf die G8-Agenda gesetzt.

Was heute auf der einen Seite der Erde passiert, wirkt sich mehr denn je auch auf die andere aus. Räumliche Entfernungen verlieren durch die enorme und weiter fortschreitende Vernetzung an Bedeutung. Das heißt: Wir müssen unsere Zukunft unter den Bedingungen der Globalisierung definieren. Das erfordert verlässliche internationale Gremien zur Diskussion und Beschlussfassung. Der G8 kommt deshalb als bewährtes Format neben der G20 eine maßgebende Rolle zu. Beide leben von der Einsicht in die Notwendigkeit, gemeinsam Verantwortung zu tragen – für die Zukunft unserer Welt.


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